NEWSLETTER 07.06.2024
Die Einwohnerzahl Kölns soll in den nächsten Jahren weiter steigen. Wie seriös sind solche Prognosen?
Sehr geehrte Mitglieder,
liebe Freundinnen und Freunde des Kölner Presseclubs,
seit jeher ist es der Wunsch der Menschheit, die Zukunft vorherzusagen. Was mit Feuerzeichen und Kaffeesatzleserei begann, setzte sich mit Bleigießen und Horoskopen fort. In der Moderne kam mit der Mathematik noch eine wissenschaftliche Variante hinzu: die Prognose. Und einer dieser angesehenen und renommierten Prognosen prophezeit seit einigen Jahren, dass Köln weiter wachsen wird.
Doch ich sage es gleich: nur, weil das auf der einen Seite ein Bauchgefühl bestätigen mag und auf der anderen Seite logisch klingt, sollten wir grundsätzlich mit solchen Prognosen aus vielerlei Hinsicht vorsichtig sein. Die Studie, von der ich spreche, stammt von der Bertelsmann-Stiftung. In ihrem „Wegweiser Kommune“ rechnet sie regelmäßig für die kommenden 15 Jahre aus, wie sich denn jede kreisfreie Stadt oder jeder Kreis entwickeln dürfte. Ein Blick in die Vergangenheit verrät für Köln: die Vorhersage hat ziemlich gut gepasst.
2007 überschritt Köln die Marke von einer Million Einwohner. Ich habe etwas in den Archiven gekramt und fand heraus, dass 2010 schließlich die Prognose der Bertelsmann Stiftung so lautete, dass dies nicht nur so bleiben werde, sondern auch noch mehr als fünf Prozent im Jahr 2025 hinzukommen würden. Nun hat Köln laut Stadtverwaltung aktuell 1,089 Million Einwohner mit Erstwohnsitz.
Und so soll es auch weiter gehen. Einer neuen, vor wenigen Wochen erschienenen Prognose zufolge kommen bis 2040 noch einmal rund fünf Prozent hinzu, auf dann 1,14 Millionen Einwohner. Währenddessen nähme die Bevölkerung in ganz NRW aber insgesamt leicht ab. Sprich: die Flucht vom Land in die Stadt ginge weiter. Ich könnte jetzt gut nachvollziehen, wenn Sie sagen: Prima, diese Leute von der Bertelsmann-Stiftung haben es voll drauf und damit könnte dieser Newsletter sein Ende gefunden haben.
Im Vergleich zu anderen Kommunen in Nordrhein-Westfalen ist Köln aber ein schlechtes Beispiel, wenn es darum geht, die Treffsicherheit dieser Prognosen zu überprüfen. Denn ganz oft, so mein stichprobenartiges Ergebnis dieser Prognosen seit 2010, liegen die Vorhersagen ziemlich deutlich daneben. So hieß es, dass das Ruhrgebiet deutlich an Einwohnern verlieren werde. Jüngst ist Duisburg beispielsweise aber kräftig gewachsen und beheimatet nun mehr als eine halbe Million Menschen. Die Prognose für die Stadt an Rhein und Ruhr ist also nicht nur nicht eingetreten, sie ist komplett in die andere Richtung gegangen.
Auch im ländlichen finden sich deutliche Beispiele. Der Kreis Düren stellte sich auf eine Schrumpfkur ein, die nie kam. Dort wird demnächst die Marke von 300.000 Einwohnern geknackt. Und ein politischer Vertreter aus dem Kreis Höxter, einem recht dünnbesiedelten Kreis in Westfalen, lacht vor Kurzem laut im Radio über die Aussagen dieser Prognosen. Unvergessen bleibt für mich, wie Landrat Sticklen im Interview gut gelaunt betont, wie oft der Bevölkerungsschwund bei ihm schon angekündigt worden, aber nie eingetreten sei. Man habe günstigen Wohnraum, geringe Arbeitslosigkeit und eine gute Kinderbetreuung genutzt, um Menschen anzuziehen.
Mir ist dadurch noch einmal klar geworden: düstere Prognosen können über die Zeit gelassen hingenommen und mit Tatendrang gelöst werden. Und Journalisten sind gut beraten, wenn sie über Studien, Umfragen, Prognosen und Vorhersagen nicht alles ungefiltert nachplappern. Die Aussagekraft ist oft gering und ohne fundierte Einschätzung unbrauchbar. Das macht es gleichzeitig schwierig, in der notwendigen Kürze zu berichten. Köln ist nach meiner Einschätzung wahrscheinlich einfach einer der wenigen Treffer, die bei solchen Vorhersagen eben dazu gehören.
Da fällt mir zum Schluss noch ein Bühnenstück des emeritierten Kabarettisten Volker Pispers über Prognostiker ein: kommt ein Mann ins Restaurant und bestellt einen Teller Suppe. Neben ihm sitzt der Mitarbeiter eines Instituts, der ausrechnet, wie viel Suppe der Mann auf Grund seiner Bestellung in seinem Leben wohl noch essen wird. Als der Prognostiker seine Arbeit erledigt hat und geht, kommt der Teller mit der Suppe. Dass dem Mann das Gericht nicht schmeckt, spielt für die Statistik da aber schon keine Rolle mehr. Aber die Suppe, die der Mann nun in seinem Leben noch auslöffeln muss, die stand fest.
In diesem Sinne „bis neulich“ und herzliche Grüße
Ihr
David Rühl