NEWSLETTER 07.06.2024

Die Einwohnerzahl Kölns soll in den nächsten Jahren weiter steigen. Wie seriös sind solche Prognosen?

Sehr geehrte Mitglieder,
liebe Freundinnen und Freunde des Kölner Presseclubs,

seit jeher ist es der Wunsch der Menschheit, die Zukunft vorherzusagen. Was mit Feuerzeichen und Kaffeesatzleserei begann, setzte sich mit Bleigießen und Horoskopen fort. In der Moderne kam mit der Mathematik noch eine wissenschaftliche Variante hinzu: die Prognose.  Und einer dieser angesehenen und renommierten Prognosen prophezeit seit einigen Jahren, dass Köln weiter wachsen wird.

Doch ich sage es gleich: nur, weil das auf der einen Seite ein Bauchgefühl bestätigen mag und auf der anderen Seite logisch klingt, sollten wir grundsätzlich mit solchen Prognosen aus vielerlei Hinsicht vorsichtig sein. Die Studie, von der ich spreche, stammt von der Bertelsmann-Stiftung. In ihrem „Wegweiser Kommune“ rechnet sie regelmäßig für die kommenden 15 Jahre aus, wie sich denn jede kreisfreie Stadt oder jeder Kreis entwickeln dürfte. Ein Blick in die Vergangenheit verrät für Köln: die Vorhersage hat ziemlich gut gepasst.

2007 überschritt Köln die Marke von einer Million Einwohner. Ich habe etwas in den Archiven gekramt und fand heraus, dass 2010 schließlich die Prognose der Bertelsmann Stiftung so lautete, dass dies nicht nur so bleiben werde, sondern auch noch mehr als fünf Prozent im Jahr 2025 hinzukommen würden. Nun hat Köln laut Stadtverwaltung aktuell 1,089 Million Einwohner mit Erstwohnsitz.

Und so soll es auch weiter gehen. Einer neuen, vor wenigen Wochen erschienenen Prognose zufolge kommen bis 2040 noch einmal rund fünf Prozent hinzu, auf dann 1,14 Millionen Einwohner. Währenddessen nähme die Bevölkerung in ganz NRW aber insgesamt leicht ab. Sprich: die Flucht vom Land in die Stadt ginge weiter. Ich könnte jetzt gut nachvollziehen, wenn Sie sagen: Prima, diese Leute von der Bertelsmann-Stiftung haben es voll drauf und damit könnte dieser Newsletter sein Ende gefunden haben.

Im Vergleich zu anderen Kommunen in Nordrhein-Westfalen ist Köln aber ein schlechtes Beispiel, wenn es darum geht, die Treffsicherheit dieser Prognosen zu überprüfen. Denn ganz oft, so mein stichprobenartiges Ergebnis dieser Prognosen seit 2010, liegen die Vorhersagen ziemlich deutlich daneben. So hieß es, dass das Ruhrgebiet deutlich an Einwohnern verlieren werde. Jüngst ist Duisburg beispielsweise aber kräftig gewachsen und beheimatet nun mehr als eine halbe Million Menschen. Die Prognose für die Stadt an Rhein und Ruhr ist also nicht nur nicht eingetreten, sie ist komplett in die andere Richtung gegangen.

Auch im ländlichen finden sich deutliche Beispiele. Der Kreis Düren stellte sich auf eine Schrumpfkur ein, die nie kam. Dort wird demnächst die Marke von 300.000 Einwohnern geknackt. Und ein politischer Vertreter aus dem Kreis Höxter, einem recht dünnbesiedelten Kreis in Westfalen, lacht vor Kurzem laut im Radio über die Aussagen dieser Prognosen. Unvergessen bleibt für mich, wie Landrat Sticklen im Interview gut gelaunt betont, wie oft der Bevölkerungsschwund bei ihm schon angekündigt worden, aber nie eingetreten sei. Man habe günstigen Wohnraum, geringe Arbeitslosigkeit und eine gute Kinderbetreuung genutzt, um Menschen anzuziehen.

Mir ist dadurch noch einmal klar geworden: düstere Prognosen können über die Zeit gelassen hingenommen und mit Tatendrang gelöst werden. Und Journalisten sind gut beraten, wenn sie über Studien, Umfragen, Prognosen und Vorhersagen nicht alles ungefiltert nachplappern. Die Aussagekraft ist oft gering und ohne fundierte Einschätzung unbrauchbar. Das macht es gleichzeitig schwierig, in der notwendigen Kürze zu berichten. Köln ist nach meiner Einschätzung wahrscheinlich einfach einer der wenigen Treffer, die bei solchen Vorhersagen eben dazu gehören.

Da fällt mir zum Schluss noch ein Bühnenstück des emeritierten Kabarettisten Volker Pispers über Prognostiker ein: kommt ein Mann ins Restaurant und bestellt einen Teller Suppe. Neben ihm sitzt der Mitarbeiter eines Instituts, der ausrechnet, wie viel Suppe der Mann auf Grund seiner Bestellung in seinem Leben wohl noch essen wird. Als der Prognostiker seine Arbeit erledigt hat und geht, kommt der Teller mit der Suppe. Dass dem Mann das Gericht nicht schmeckt, spielt für die Statistik da aber schon keine Rolle mehr. Aber die Suppe, die der Mann nun in seinem Leben noch auslöffeln muss, die stand fest.

In diesem Sinne „bis neulich“ und herzliche Grüße

Ihr

David Rühl

NEWSLETTER 31.05.2024

Über Feindbilder, albernen Kulturkampf und die Lösung als Problem

  

 

Sehr geehrte Mitglieder,
liebe Freundinnen und Freunde des Kölner Presseclubs,

es gehört wohl zu den großen, manchmal gar tragischen menschlichen Schwächen, gegen die eigenen Interessen zu handeln. Bei Kindern mag das noch entschuldbar sein, weil sie die Folgen ihres Handelns noch nicht einschätzen können. Aber Erwachsene mit Anspruch auf Verstand? Sie sollten aus Erfahrung die richtigen Schlüsse ziehen können. Das gilt vor allem in Angelegenheiten, die die gesamte Gesellschaft betreffen, also für die Politik.

Ein Glücksfall in dieser Hinsicht ist mit Köln und dem Rheinland verbunden: Konrad Adenauer. Nach der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs und der Barbarei der Nazi-Diktatur hatte er erkannt, dass es eine Zukunft für Deutschland nur in einem befriedeten, vereinten Europa geben kann. Das war eine Absage an jede Form von Nationalismus oder zur Rückkehr an den Nationalstaatsgedanken des 19. Jahrhunderts. Mutig und konsequent, gegen viele Widerstände hat er die Aussöhnung mit dem „Erbfeind“ Frankreich verfolgt, den europäischen Einigungsprozess vorangetrieben und das Land im Westen verankert.

Umso erschütternder zu sehen, dass heute vielfach wieder das Heil in einer Renationalisierung gesucht wird, Brüssel und die EU für Nationalisten von Höcke bis Wagenknecht als Feindbild herhalten müssen. Regierungschefs wie der Ungar Orban torpedieren mit ihrer zerstörerischen Blockade-Politik die Gemeinschaft, um dann höhnisch auf ein Versagen der EU zu verweisen. Es ist der schäbige Versuch, aus der Lösung ein Problem zu machen.

Das ist nicht nur perfide Geschichtsvergessenheit, es ist massiv gegen die Interessen der europäischen Völker. Denn geopolitisch, wirtschaftlich und – wie wir jetzt schmerzhaft erkennen  müssen – auch verteidigungspolitisch ist gemeinschaftliches Agieren für die Europäer zwingend. Selbst die beiden größten und potentesten Staaten der EU, Deutschland und Frankreich, sind den aktuellen und künftigen Herausforderungen nicht gewachsen. Es sind allenfalls europäische Regionalmächte, keine globalen Player.

Dass allerdings selbst im Land des großen Visionärs Konrad Adenauer das Erbe so fahrlässig verspielt wird, ist fast tragisch zu nennen. Auch geht man mit Lust in einen albernen Kulturkampf, statt sich für die Zukunft zu rüsten. Es geht, schlicht formuliert, um Überlebensfragen des Kontinents. Zentrale Faktoren sind Deutschland und Frankreich, wie es schon Konrad Adenauer erkannt hatte. Aber Verantwortung will auch übernommen werden. Schon Angela Merkel hat die Kraft-Achse vernachlässigt und Olaf Scholz scheint sie noch gar nicht entdeckt zu haben. Eine fatale Ignoranz.

Der Blick durch die nationale Brille reicht nur bis zur Landesgrenze. Das hat sich seit dem Umzug der Hauptstadt von Bonn nach Berlin noch einmal verschärft. „Der Nationalstaatsgedanke liegt in Berlin näher als in Bonn“, sagte mir Paul Bauwens-Adenauer vor Jahren in einem Gespräch. Für den Enkel des ersten Kanzlers hat der Hauptstadt-Wechsel eine starke Konzentration auf das Nationale zur Folge gehabt. „Dabei ist die Nationalstaatsidee spätestens 1945 Bankrott gegangen. Die Lehre für Europa war doch, der Nationalstaat ist nicht die Zukunft. Vor allem wir Deutschen sollten das gelernt haben.“ Deutschland müsse deshalb die treibende Kraft der europäischen Integration sein. „Europa ist das Wichtigste, nicht Deutschland.“

Das ist es auch – in den Sonntagsreden. Unter der Woche sind Brüssel und die EU eine Chiffre für bürokratisches Grauen, für Gleichmacherei, für Regulierungswut. Einer genaueren Betrachtung hält das nicht stand. Natürlich gibt es Fehlentwicklungen, auch Absurditäten. Aber statt die anzugehen und Europa im ureigensten Interesse weiterzuentwickeln, werden populistische Süppchen darauf gekocht. Ein Ergebnis ist, dass selbst die Wahlen zum EU-Parlament zu nationalen Testwahlen verzwergt werden. Statt gemeinsame Projekte ins Zentrum zu stellen, ist dieser Wahlkampf in seiner öden Unambitioniertheit an Tristesse kaum zu überbieten.

Dabei geht es auch um Weichenstellung für den Kontinent angesichts russischer Aggression, chinesischem Machtstreben, einer drohenden Rückkehr Donald Trumps ins Weiße Haus. Wie wollen wir künftig leben in einer Welt mit ihren Herausforderungen durch Klimakrise, Migrationsdruck, der realistischen Gefahr durch weitere Pandemien? Wie sagte es Paul Bauwens-Adenauer: „Wir müssen davon wegkommen, Europa wie eine Erbengemeinschaft zu verwalten, wo jeder nur möglichst viel haben will. Europa ist eine Investitionsaufgabe.“

In diesem Sinne grüße ich Sie, herzlich wie stets,

Ihr

Michael Hirz

NEWSLETTER 24.05.2024

Frust im Handwerk und beim Kunden durch das neue Heizungsgesetz.  Kölner Handwerksunternehmer über die große Verunsicherung  in der Bevölkerung

 

Sehr geehrte Mitglieder,

liebe Freundinnen und Freunde des Kölner Presseclubs,

 

fangen Sie schon an zu sparen? Aber nicht für den Urlaub im kommenden Sommer oder etwa für ein neues Auto. Wohnungseigentümer und Mieter bekommen es in diesen Wochen schwarz auf weiß: Die Heizkosten sind im vergangenen Jahr gestiegen, obwohl wegen des milden Winters eigentlich weniger verbraucht wurde. Es werden aber nicht nur hohe Nachzahlungen fällig. Mit schnellen Schritten nähert sich auch das Ende der alten Heizungsanlagen in unseren  Kellern. Das Gebäudeenergiegesetz (GEG) ist der Grund.  Darüber sprach ich kürzlich mit  einem Handwerkunternehmer, der seit 25 Jahren im Geschäft ist.  Denn die Handwerksbetriebe müssen an vorderster Front uns Kunden die Wärmewende der Regierung erklären und umsetzen. Ich ging mit vielen Fragen rein und kam mit noch mehr heraus. Ich weiß nur eins: es ist kompliziert und egal ob Mieter, Vermieter oder Eigenheimbesitzer – für jeden Geldbeutel wird’s teurer.

„Das lange Hickhack der Politik über das GEG macht den Kunden immer noch zu schaffen,“ sagt Marc Schmitz, Geschäftsinhaber und Obermeister der Innung Sanitär Heizung Klima Köln. „Es herrscht immer noch große Unsicherheit in der Bevölkerung.“ Nicht wenige hoffen sogar auf die nächste Wahl, wenn dadurch sich noch etwas an dem sogenannten Heizungsgesetz ändern würde.  Daran glaubt Marc Schmitz allerdings nicht. „Die Dekarbonisierung der Wärme ist der richtige Weg. Aber das Tempo und die geforderte Umsetzung nimmt die Menschen nicht mit.“ 

Die Wärme in Deutschland macht laut Bundesregierung mehr als 50 Prozent des gesamten Endenergieverbrauchs aus und verursacht einen Großteil des CO2-Ausstoßes.  Rund 80 Prozent der Wärme wird danach von fossilen Brennstoffen wie Gas und Öl gedeckt. Von den ca. 41 Millionen Haushalten in Deutschland heizt fast jeder zweite mit Gas und knapp jeder vierte mit Heizöl. Fernwärme macht aktuell rund 14 Prozent aus, wird jedoch bisher ebenfalls überwiegend aus fossilen Brennstoffen gewonnen, heißt es. Und bis 2045 soll ganz Deutschland klimaneutral heizen. Was für ein ambitionierter Plan, meint nicht nur Marc Schmitz und wählt als Negativbeispiel den Wärmepumpentraum von Robert Habeck. Der Bundeswirtschaftsminister will, dass jedes Jahr 500.000 Wärmepumpen in Deutschland installiert werden. Bis 2030 sollten es sechs Millionen werden, damit die Hälfte der leitungsgebundenen Wärme klimaneutral erzeugt werden kann „Nicht zu schaffen, Die Zahlen der Wärmepumpen sind rückläufig.“ sagt Marc Schmitz.  In 2023 waren es nur 356.000 Stück, die verbaut wurden, 100.000 weniger als im Vorjahr. Im ersten Quartal 2024 sind es sogar 46.000 Wärmepumpen weniger als im Vorjahreszeitraum. Vielleicht schreckt zunächst die hohe Investition von bis zu 25.000.- Euro Immobilienbesitzer ab und dann kommt der komplizierte Förderdschungel noch dazu. Den Hauptgrund für den Wärmepumpen-Ladenhüter sieht Marc Schmitz  aber in der starken Verunsicherung vieler Verbraucher. Seiner Meinung nach warten Immobilienbesitzer erst einmal die kommunale Wärmeplanung ab. „Es war ein Fehler, dass die Politik sich entschieden hatte, GEG und Wärmeplanung miteinander zu verzahnen“ kritisiert er, „da hat man den zweiten Schritt vor dem ersten gemacht.“ Bei der kommunalen Wärmeplanung müssen alle Kommunen mit über 100.000 Einwohnern ihre Planung bis spätestens 30. Juni 2026 fertig gestellt haben, die unter 100.000 Einwohner bis 30. Juni 2028. Köln wird wohl 2026 ready to go sein.  Bis dahin kann in Bestandsgebäuden im Grunde jeder heizen, wie er möchte.

„Die Kommunen verdonnern die Versorger zur Dekarbonisierung. Das wird für alle teuer“, sagt Schmitz. Ob die Netzbetreiber überhaupt finanziell in der Lage seien, alles von Elektro, Gas, Wasserstoff bis Fernwärme in der Straße zu vergraben, bezweifelt Marc Schmitz. Für die große Kölner Rheinenergie kein Problem, das kommunale Unternehmen investiert bis 2035 insgesamt ca. 3,8 Mrd Euro in den Ausbau der erneuerbaren Energien – dazu Fernwärmespeicher, Solarthermie-Anlagen, Groß-Wärmepumpen, Wasserstoff und dem Aufbau von „Power-to-Heat“-Kapazitäten. Geld, das an andere Stelle fehlen könnte, zum Beispiel bei der defizitären KVB. „Das alles muss bezahlt werden,“ warnt Marc Schmitz, „und derzeit ist kein Anschluss- und Benutzungszwang für Fernwärme in Köln vorgesehen.“

Stimmt, denn die kommunale Wärmeplanung ist eine unverbindliche Fachplanung. Diese verpflichtet weder die Netzbetreiber zu Investitionen, noch die Gebäudebesitzer zur Nutzung der priorisierten Wärmequellen. Als negatives Beispiel nennt der Innungsmeister, wie es die Stadtwerke Düsseldorf im Frühjahr getroffen hat: „Dort wollte die Politik das Vorzeigeprojekt Fernwärme in der Friedrichstraße. „Nun hat man mindestens fünf Jahre eine Baustelle auf 900 m Länge und bis jetzt genau drei freiwillige Anschlüsse.“ So wurde es auf einer Fachverbandstagung  kommuniziert. Ob da die Kosten für einen Fernwärme-Hausanschluss abschrecken? Die können zwischen 8.000 und 10.000 Euro liegen und es gibt keine Garantie, dass die Fernwärme am Ende günstiger ist als die eigene Heizungsanlage.

Vieles liegt beim GEG noch im Unklaren, stellt Marc Schmitz fest, unter anderem die Frage nach der Betreiberpflicht bei der Sanierung von bereits bestehenden Gasanlagen. Um die Zuführung von regenerativem Gas wie in einem Stufenplan bis 2029 vorgesehen muss sich jeder Betreiber selbst kümmern. Ein Konzept dafür liegt laut Schmitz noch nicht vor.  Ebenso wenig, wie Wasserstoff als Wärmequelle für Hausbesitzer in Frage kommt. Wasserstoff  wird vorrangig für Industrie und Verkehr gebraucht. „In den nächsten 10 – 15 Jahren werden ich kaum Wasserstoff zur Verfügung haben, um ihn an die Geräte anzuschließen“, ist sich Marc Schmitz sicher.

Der  Obermeister der Innung will kein Politiker-Bashing betreiben. Er hätte sich von der Politik aber mehr Freiheiten für einen individuelleren Weg der Umsetzung des GEG gewünscht, statt immer neue Vorschriften. Das führe am Ende zu Frust im Handwerk und beim Kunden in jedem Heizungskeller.

Egal, wie Sie politisch oder ideologisch zur Klimarettung  stehen, billger wird’s nicht. Es ist in jedem Portemonnaie spürbar. Die Bundesregierung hat und wird den CO2-Preis für fossile Brennstoffe noch mehr erhöhen. Heizen wird teuer und betrifft jeden, der im Winter nicht im Kalten sitzen möchte. Da hilft es auch nicht, dass es die nächsten Monate  erstmal warm wird.

 

Ein hoffentlich sonniges Wochenende wünscht Ihnen

Ihre Claudia Hessel

NEWSLETTER 17.05.2024

Über Schokokekse, Verlagshäuser und Gesinnungsjournalismus

Sehr geehrte Mitglieder,
liebe Freundinnen und Freunde des Kölner Presseclubs,

es hat etwas Befreiendes, sich von altem Gerümpel zu trennen. Das gilt im Kleinen wie im Großen. Manchmal jedoch stellt man hinterher fest, dass man auch Wertvolles entsorgt hat. Aber man kann aus einem Rührei kein gekochtes mehr machen oder, auf gut Kölsch: Wat fott es, es fott. Womit wir beim Thema Lokalpresse wären. Der nämlich geht es schlecht, genauer gesagt, sie ist todkrank. Es gibt ein Bündel von Ursachen, das Internet mit seiner Gratismentalität, das Wegbrechen des Anzeigenmarktes, die sog. Sozialen Medien von Facebook bis X, Missmanagement von Verlagsleitungen usw. Nun könnte man als überzeugter Marktwirtschaftler achselzuckend sagen, kein Ertragsmodell, keine Zukunft.

Aber so einfach ist das leider nicht. Information ist keine Ware wie, sagen wir mal etwas despektierlich, Schokokekse oder Grillzangen. Sie ist der Sauerstoff, den eine freie, demokratische Gesellschaft braucht. Und der wird angesichts des Zeitungssterbens knapper. Was aber passiert, wenn es immer wenige Lokal- und Regionalzeitungen für belastbare, unabhängige und professionell kuratierte Information sorgen, ihre Leserschaft mit relevanten News über Ereignisse, Personen und Hintergründe informieren und damit entscheidungsfähig machen?

Darüber habe ich mit dem Tiefenpsychologen und Marktforscher Jens Lönneker gesprochen, in dessen Rheingold-Salon der Kölner Presseclub immer mal wieder zu Gast sein darf. Er machte mich auf eine Studie aufmerksam, die den Zusammenhang zwischen fehlender Lokalpresse und der Wahl von Populisten und Extremisten belegt. Ähnliche Untersuchungen kannte ich schon aus den USA, wo 2017 Donald Trump vor allem in den Regionen erfolgreich war, wo es keine lokalen Medien mehr gab. Dort wie hier zeigt sich, dass ohne seriöse lokale Medien Menschen weniger über ihre Region wissen, sich weniger mit ihrer Gemeinde und der Gesellschaft insgesamt verbunden fühlen, misstrauischer gegenüber staatlichen Institutionen sind – und radikaler wählen.

Jens Lönneker hat auch eigene Forschung zur Medienakzeptanz gemacht. Zwar haben 75 Prozent der Befragten danach Vertrauen zu den etablierten Medien. Aber beachtliche 25 Prozent haben das nicht. Sie misstrauen in der Regel nicht nur traditionellen Medien, sie misstrauen oft auch dem politischen System insgesamt (Lönneker: „Medienkritik geht meist einher mit Systemkritik“). Es mutet paradox an, dass dann ausgerechnet dubiosen, unkontrollierten Internetquellen und Social-Media-Kanäle kritiklos geglaubt wird, die mit Fake News und Verschwörungstheorien das Netz fluten. Man könnte meinen, dass ein Teil der Bevölkerung vom Wissen zum Glauben konvertiert. Einen Schub hat diese Entwicklung offensichtlich mit der Flüchtlingskrise und der Corona-Pandemie erfahren.

Für Lönneker sind das Reaktionen auf Zukunftsängste und das Gefühl vieler Menschen, von Medien und Politik nicht mehr gesehen zu werden. „Die Menschen fühlen sich von der Komplexität der Verhältnisse überfordert, in ihren Nöten und Sorgen nicht mehr gesehen. Das führt zu Aggression gegen Medien, die als Teil des Systems wahrgenommen werden“, so Lönneker. Politische Profiteure sind radikale Parteien, die – statistisch belegt – besonders in zeitungsfreien Regionen reüssieren, also verkürzt: Wo das Lokalblatt geht, kommt die AfD.

Was also tun? Redaktionen schlägt Lönneker vor, noch deutlich stärker zuzuhören, Sorgen des Publikums ernst zu nehmen: „Wenn nahezu alle senden, ist Zuhören gefragt“. Das bedeutet natürlich den Verzicht auf bevormundenden Gesinnungsjournalismus, der oft als „Haltung“ ausgegeben wird. Wer predigen will, sollte Pfarrer werden, nicht Journalist. Wichtig sei auch, in der Berichterstattung konstruktiv zu bleiben, Perspektiven aufzuzeigen, um angesichts der zahlreichen Krisen Menschen nicht in fatalistische Angststarre zu treiben.

Das allerdings, muss man einwenden, funktioniert nur, wenn Verlage nicht nach kurzfristigem und kurzsichtigem betriebswirtschaftlichen Rendite-Kalkül geführt werden. Die auf eigenen, unabhängigen Journalismus setzen und nicht auf die Übernahme von Agenturmaterial und Pressetexten. Letztlich muss die Qualität des Produkts überzeugen, die Beiträge gut recherchiert sein. Gegenwärtig hat man den Eindruck, dass Verlage phantasielos an der Kostenschraube drehen, Redaktionen ausdünnen und nochmal Kasse machen wollen. Wirtschaftlich ist das kurzsichtig, gesellschaftlich fatal!

Dass es anders geht, zeigen kreative, verantwortungsvolle Verleger, die in Qualität investieren, Redaktionen gut ausstatten, zeigen, dass auch damit Geld zu verdienen ist – und gleichzeitig der Gesellschaft einen unschätzbaren Dienst erweisen. Die Politik ist ebenfalls gefordert, wenn es um die Sicherung des Qualitätsjournalismus geht. Der Rahmen muss stimmen, der Schutz vor Google, Facebook und X, dem vormaligen Twitter, muss gewährleistet sein. Eine freie Gesellschaft kann schließlich nicht ohne eine lebendige Presselandschaft funktionieren.

 

In diesem Sinne grüße ich Sie, herzlich wie stets,

Ihr

Michael Hirz

NEWSLETTER 10.05.2024

Köln ist gerne auf sich stolz, aber offenbar weniger auf seine berühmten Persönlichkeiten. Eine Petition fordert: Eine bekannte Straße soll umbenannt werden – nach Tina Turner.

Sehr geehrte Mitglieder,
liebe Freundinnen und Freunde des Kölner Presseclubs,

kürzlich ist mir nachts auf der Couch fast die Bierflasche aus der Hand gefallen. Die Sendung „ZDF Magazin Royale“ neigte sich gerade dem Ende zu. Das Thema der Sendung lautete: „Die Leiche im Keller von Kanzler Olaf Scholz“ (es ging also um den Skandal mit der Warburg-Bank in Hamburg und ihre Cum-Ex-Millionen). Plötzlich sprach mich Moderator Jan Böhmermann gefühlt direkt an: „Die Stadt Köln hat auch eine riesige Leiche im Keller und es scheint niemanden zu stören. Eine prominente Straße ist nach einem der übelsten Antisemiten und Rassisten benannt. Gott sei Dank kümmert sich nun jemand darum!“

Es folgte eine Ansprache an die Kölner Stadtbevölkerung durch den kanadischen Musiker Chilly Gonzales: „Liebe Kölner, wenn ich über die Richard-Wagner-Straße gehe, verspüre ich Wut.“ Wagner sei ein fantastischer Komponist gewesen, aber ein scheußlicher Mensch. Und er fragt sich: sollten wir nicht zwischen dem Künstler und seinen Werken unterscheiden? Lässt sich das überhaupt trennen? Ja, sagt Chilly Gonzales, der real Jason Beck heißt und jüdische Wurzeln hat. Die Straße sei nach dem Künstler, dem Ungeheuer Richard Wagner, benannt und das müsse nicht sein. Seine Werke könnten dadurch wertgeschätzt werden, in dem seine Opern weiter aufgeführt würden.

Wagner hatte den Aufsatz „Das Judentum in der Musik“ veröffentlicht, der heute allgemein als Hetzschrift angesehen wird. Das Pamphlet wurde 1869 veröffentlicht, da war Wagner 56 Jahre alt und so ziemlich auf dem Höhepunkt seines Ruhms. Kurz nach seinem Tod entschied die Stadt Köln 1884, die Straße in Westen der Innenstadt nach ihm zu benennen – also weit vor Hitlers Machtergreifung, falls Sie zufällig nach einem solchen Zusammenhang gesucht haben. Aus heutiger Sicht also: 140 Jahre Richard-Wagner-Straße in Köln. Ein Grund, noch einmal über die Namensgebung nachzudenken?

Chilly Gonzales hat eine Petition gestartet, in der nicht nur die Umbenennung der Straße gefordert wird. Sie enthält auch einen konkreten Vorschlag für eine neue Variante: die Tina-Turner-Straße. Und bevor so laut lachen oder mit den Augen rollen, lassen Sie es bitte kurz auf sich wirken. Die Argumente finde ich gut. In der Petition wird gefragt: „Wer wäre besser geeignet als eine afroamerikanische Komponistin und Sängerin, die Köln neun Jahre lang zu ihrer Heimat gemacht hat?“

An dieser Stelle der Petition sind bei mir ganz viele Gedanken kommen: mir ist aufgefallen, dass Köln, das auf sehr vieles stolz ist, kaum seine berühmten Persönlichkeiten der vergangenen Jahrzehnte öffentlich würdigt, so wie es früher einmal offenbar üblich war. Willy Millowitsch bekam einen kleinen Platz an der Breite Straße. Dirk Bach wurde bislang, trotz vieler Diskussionen, noch gar nicht bedacht. Konrad Adenauer, der frühere Oberbürgermeister Kölns und spätere erste Bundeskanzler der Republik, wird mir grundsätzlich zu wenig erwähnt – auch wenn der Flughafen schon nach ihm benannt wurde sowie das Konrad-Adenauer-Ufer natürlich, was aber nicht gerade Glanz versprüht. Und Tina Turner als Wahlkölnerin zu würdigen, das wäre doch typisch für diese Stadt oder nicht?

Die Petition hat aber auch eine Schwachstelle: es wird vergessen, wo die Richard-Wagner-Straße liegt: im Komponisten-Viertel, in unmittelbarer Umgebung zur Händel-, Mozart- und Beethovenstraße. Aber, sollte Chilly Gonzales das hier lesen, ich hätte da noch einen Joker für die Diskussionen mit den Stadtvertretern: die Richard-Wagner-Straße liegt in unmittelbarer Nachbarschaft der Kölner Synagoge. So gesehen, wäre eine Umbenennung mit Blick auf seine antisemitische Schrift wohl tatsächlich diskutabel.

Die Petition hat mittlerweile ungefähr 3.000 Unterzeichner. Hier können Sie mitmachen. Ich bin gespannt, wie sich das entwickelt und ob es bald wirklich die Tina-Turner-Straße geben sollte. Für Köln wäre es aber auch durchaus denkbar, dass alles ganz anders kommt als gedacht. Zum Beispiel: es wird keine Tina-Turner-Straße geben, stattdessen wird eine nach Chilly Gonzales benannt.

 

In diesem Sinne verbleibe ich mit kölschen Grüßen

Ihr
David Rühl

NEWSLETTER 03.05.2024

Warum Kölns meist prämierte Bäckerei schloss und es in der Politik nötig ist, Entscheidungen mit Achtsamkeit und Respekt zu fällen

 

Sehr geehrte Mitglieder,
liebe Freundinnen und Freunde des Kölner Presseclubs,

als der Plan aufkam, die Kalker Hauptstraße in Teilen zur Einbahnstraße zu machen, war Engelbert Schlechtrimens Glaube an die Zukunft bereits erschüttert. Doch nun musste der Konditormeister ein weiteres Mal sinkenden Umsätzen und weniger Kunden in seinem Geschäft an eben dieser Kalker Hauptstraße rechnen. Als über seinen und den Kopf seiner 50 Mitarbeitenden („Eine tolle Mannschaft“) hinweg die neue Verkehrsregelung in Rat und Öffentlichkeit diskutiert wurde, war das nach Corona, hohen Energiepreisen, Inflation, Personalmangel, wachsender Bürokratie und steigenden Verwaltungskosten zu viel. Im Oktober 2022, 90 Jahre nach ihrer Gründung, schloss die Konditorei Schlechtrimen, ein Jahr später verließ deren früherer Chef die Stadt. Es gab nichts mehr zu verdienen, wie der heute 60-Jährige nüchtern hinzufügt. Die gedankenlose Art, in der in Köln Verkehrspolitik gestaltet wird, war nicht alleiniger Grund, jedoch letztes Glied in einer Kette der Entmutigung.

Warum ich jetzt darüber schreibe? Weil Kölns meist prämierte Bäckerei den Zuständen ein Gesicht gibt, die Jörg Hamel, Geschäftsführer im Einzelhandelsverband NRW, als generelle Übel beklagt. Zentrales Thema ist für ihn die Erreichbarkeit von Geschäften. „Unbedachte Verkehrsberuhigung kann für Einzelhandel den Todesstoß bedeuten,“ sagt er. Über die Jahre könne durch Krisen, wachsende Bürokratie und leichtsinnige Politik ein Einzelhandelsgeschäft zu einer ungeheuren, auch seelischen Belastung werden. Engelbert Schlechtrimen, der von schlaflosen Nächten und einem Burnout in der Vergangenheit berichtete, würde hier zustimmen. 

Hin und wieder bin ich früher, wenn ich Zeit hatte, zum späten Frühstück nach Kalk gefahren. Traditionelles Handwerk ohne Chemie und ohne Zusatzstoffe – das gefiel mir. Auch imponierte mir, dass es im Stadtteil Kalk einen solchen Vorzeigebetrieb überhaupt gab, der sogar Filialen hatte, „slow baking“ praktizierte und bundesweit als Referenzbetrieb galt. Um so betrübter war ich, vor eineinhalb Jahren von der Schließung zu erfahren.

„Handwerk hat goldenen Boden?“ Jörg Hamel lacht bitter. Im Umgang mit Behörden sieht er aktuell positive Tendenzen im Wirtschaftsdezernat der Stadt Köln. Rat und Verwaltung indes sollten stärker bedenken, dass von ihren Entscheidungen Existenzen abhingen, Menschen, die ein Gesicht haben, Arbeitsplätze bieten und mitunter für Lebenswerke stehen, die über Generationen reichen. Das fiel mir auch im Gespräch mit dem Konditormeister auf. So ruhig und überlegt spricht er über seine Geschäftsaufgabe und die Zeit davor, dass die Worte umso schwerer wiegen. Nur selten sähen Behörden sich als Ermöglicher und seien auf Augenhöhe unterwegs, erinnert er sich. Viel häufiger habe er sich zum Büttel degradiert gefühlt. Der einzige Punkt in unserem G espräch, der eine gewisse Schärfe aufwies.

Nüchtern beschrieb Engelbert Schlechtrimen, was ihn erschöpft hat. Backende Handelsunternehmen und Discounter, die mit Kosten, Qualität und Bürokratie anders umgehen können als er. Wie er sein „Vollsortiment“, auf das er stolz war, aufgeben musste, die Pralinen, Hexenhäuschen aus Lebkuchen oder Ostereier, die man industriell günstiger herstellt. Und die Bürokratie. Zum Schluss, bei Geschäftsaufgabe, hatte sich der Anteil der Verwaltungskosten am Umsatz verdoppelt.

Dass es sich hier nicht um einen Einzel-, sondern fast einen Normalfall handelt, bestätigt Jörg Hamel. All die Krisen der vergangenen Jahre – Corona, die Kriege, die Energiepreise und die Inflation – haben den Handel geschwächt, sagt er. „Chance und Risiko eines Einzelhandelsunternehmen stehen heute in einem absurden Verhältnis zueinander.“ Der Kölner Rat solle sich vor Augen führen, dass er durch unbedachte Politik anrichten kann.

Häufig hört man forsche Statements nach Geschäftsaufgaben. Von überholten Geschäftsmodellen ist gern die Rede, oder es werden Statistiken angeführt, wonach die Umsätze nach einer Verkehrsberuhigung steigen – als handele es sich dabei um ein Naturgesetz. In einer Recherche fand ich eine Faktensammlung des Umweltbundesamtes (Sie lesen sie hier). Sie ist so aktuell wie eine Statistik nach Corona sein kann. Aus ihr geht hervor, dass im Extrem Umsätze in London und New York nach Umgestaltungsmaßnahmen zwischen 20 und 100 Prozent gestiegen sind. In München waren sie leicht steigend oder blieben zumindest konstant. Auf der Kölner Severinstraße hingegen ging der Umsatz über zehn Jahre um fünf Prozent zurück. Und das war vor den Krisen, die uns derzeit erschüttern. Was lernt man daraus? Es gibt gute und schlechte Verkehrsberuhigungen, wie es auch gutes und schlechtes Brot gibt.

Der Rückzug solcher Einzelhändler und Handwerker kontrastiert mitunter, was politisch angesagt ist: Achtsamkeit, schonender Umgang mit Ressourcen, Verzicht auf Fertigprodukte und Zusatzstoffe, kurze Wege. In der Tat bedeutet Einzelhandel Lebensqualität und sollte möglichst nah an den Bürgern sein.

Er musste die Notbremse ziehen, sagt Engelbert Schlechtrimen. „Aber ich bin allen Verantwortungen gerecht geworden“, berichtet er. So vorbildlich achtsam, wie er früher gebacken hatte, löste er seinen Betrieb auf.

Engelbert Schlechtrimen lebt heute in Lindlar und arbeitet als Coach. Schade, dass es seine Konditorei nicht mehr gibt. Köln ist ärmer geworden ohne ihn.

 

Nachdenklich grüßt

Ihr

Peter Pauls

NEWSLETTER 26.04.2024

Der nächste Oberbürgermeister muss kein Kölner sein. Der neue Chef der MIT Köln wünscht sich einen Kandidaten, der mutige Entscheidungen trifft.

 

 

Sehr geehrte Mitglieder, liebe Freundinnen und Freunde des Kölner Presseclubs,

in Köln eine Wohnung zu finden ist wie ein Sechser im Lotto. Vor allem für eine vierköpfige Familie. Wer kann, der greift dafür auch tiefer in die Tasche. 3.000 Euro ist jetzt eine Familie bereit gewesen zu zahlen. Nur allein für die Vermittlung. Diese Summe erfuhr ich von dem neuen Vorsitzenden der Mittelstands- und Wirtschaftsunion Köln, kurz MIT. Dr. Tim Odendahl ist Rechtsanwalt und seit Oktober vergangenen Jahres der Chef des wirtschaftspolitischen Flügels der CDU in Köln. Mit ihm sprach ich darüber, was die MIT nach einem halben Jahr spürbar für die Wirtschaft – insbesondere für den Mittelstand – macht und im Kommunalwahlkampf 2025 machen will.

Der Vater von drei Kindern kennt die Situation junger Familien: „Man findet einfach nichts. Und das ist noch nicht mal eine Frage des Preises, es gibt einfach keine Wohnungen.“ Sein Vorschlag als MIT-Chef heißt neu bauen und Nachverdichtung. Denn ausreichend bezahlbare Wohnungen und dazu eine gute Schullandschaft sind auch relevante Faktoren, um Arbeitskräfte für die Wirtschaft zu sichern, sagt er. Und um das zu erreichen, müssen auch schon mal alte Regeln über Bord geworfen werden: „Weg mit der Stellplatzquote.“ Dazu wünscht er sich eine moderne, digitaler arbeitende Verwaltung, die ihre Daseinsvorsorge möglichst effizient erledigt und nennt als Beispiel die Bauanträge. Sie sollten als genehmigt gelten, wenn nicht innerhalb von sechs Monaten ein Gegenbescheid erfolgt ist. Das gibt es schon beispielsweise bei der Kartellanmeldung, weiß der Rechtsanwalt, der landesweit mittelständische Unternehmen berät.

Vor allem Verkehr ist das Mittelstandsthema schlechthin. Köln zieht die meisten Berufspendler in Nordrhein-Westfalen an. Fast 350.000 Personen pendeln täglich zur Arbeit nach Köln. Als Familienvater, der immer mit dem Rad unterwegs ist, spürt er hautnah, wie die Stadt auch beim Verkehr aus allen Nähten platzt: „Die Antwort auf den täglichen Stau in Köln sind einspurige Straßen, das ist eine verkorkste Verkehrspolitik.“ Aufs Auto angewiesene Berufstätige aus dem Umland und der Mittelstand sind die Leidtragenden.

Es ärgert ihn, dass die Stimme der Wirtschaft in der Verwaltung kaum wahrgenommen wird. „Vergesst nicht die Handwerker, wenn ihr Einbahnstraßen und Spielstraßen einrichtet, denn die müssen mit ihren Autos von Baustelle zu Baustelle fahren,“ mahnt er. Das ist leider typisch für das schlechte Management in der Stadt, klagt Tim Odendahl: „In Köln werden Entscheidungen getroffen, die zu Lasten der Wirtschaft und ganz besonders des Handwerks gehen.“ Als aktuelles Beispiel nennt er Wirtschaftsparkplätze, die angeblich nicht kurzfristig eingerichtet werden können, da man erstmal mit Sensortechnik und wissenschaftlicher Begleitung vorgehen möchte. In Bonn macht man ein paar Pinselstriche und stellt ein Schild auf und fertig. Schnelle und pragmatische Entscheidungen – das vermisst Odendahl in Köln.

Ebenso nervt ihn die ewige Diskussion über den Ausbau der Ost-West-Achse. Odendahl ist für den Tunnel! Klar, das ist CDU-Position. Seiner Meinung nach wäre der Tunnel aber auch ein Projekt, bei dem die Stadt zur Abwechselung mal zeigen kann: Köln kann es.  Als CDU-Mitglied sitzt der 41-jährige im Arbeitskreis Wirtschaftspolitik, um das Programm für die Kommunalwahl zu schreiben. Sein Ziel und das des gesamten MIT-Vorstandsteams: „Endlich mal als CDU einen Fußabdruck hinterlassen. Das wollen wir mit Wirtschaftsthemen erreichen.“ Er selbst habe keine Ambitionen auf eine politische Karriere.  Das würde auch für seine jüngeren Kollegen im Vorstand gelten, die einen anderen Anspruch an Kommunalpolitik in Köln haben. Die CDU-Fraktion im Rat mache zwar gute Arbeit, aber eben nur als Juniorpartner der Grünen. Wichtig sei ihm die stärkste Fraktion im Rat zu werden. „Wir können Köln ökologischer machen, auch mit den Grünen an der Seite.  Aber dann endlich mit Verstand für das Unternehmertum.“

Große Hoffnung setzt er auf einen eigenen CDU-Kandidaten für die Oberbürgermeisterwahl 2025. In Großstädten generell für die CDU ein ambitioniertes Ziel. Aber Düsseldorf habe gezeigt, dass CDU-Politik funktionieren kann, wenn jemand bereit ist, mutige Entscheidungen zu treffen. „Der nächste OB muss nicht zwingend Kölner sein, auch wenn das sicher hilft. Man kann die Stadt auch weiterbringen, wenn man von außen kommt,“ meint Odendahl.  Im Interesse von Köln müsse sich seine Partei aber erst einmal zusammenraufen und er versichert: „Der Wahlkampf wird uns zusammenschweißen!“

Das kann man der Partei nur wünschen, denn die Wähler mögen keinen Zwist. Was kann also die MIT für die CDU in Köln konkret tun? Zunächst die Querelen beenden und den dringenden Themen widmen, die in Köln auf der Straße liegen. Vieles in der Stadt wird als Politik der Grünen wahrgenommen. Besonders in der Verkehrspolitik mit dem agilen Verkehrsdezernenten Egerer, der mit seinen teilweise abenteuerlichen Modellversuchen nicht nur Mittelständler verärgert. Da konnte die Partei bislang nicht gegensteuern. Hinzu kommt, dass der neue 15-köpfige MIT Vorstand mit alten Bekannten und neuen jungen Gesichtern auch noch nicht wahrnehmbar im öffentlichen Diskurs in Erscheinung getreten ist.

Noch anderthalb Jahre hat Tim Odendahl nun Zeit, um das Ruder herumzureißen. Aufmerksamen Lesern ist bestimmt auch nicht entgangen, dass sein Vorname Tim ein Palindrom für MIT ist. Er kann vorwärts wie rückwärts gelesen werden. Wir sind gespannt, in welche Richtung es für die MIT und die CDU gehen wird.
Ich wünsche Ihnen schon jetzt einen guten Start ins hoffentlich wärmere Wochenende

 

Mit herzlichen Grüßen

Ihre

Claudia Hessel

NEWSLETTER 19.04.2024

Hannover schafft seine Umweltzone ab, weil die Luftqualität deutlich besser geworden sei. Wie sieht es in Köln aus?

Sehr geehrte Mitglieder,
liebe Freundinnen und Freunde des Kölner Presseclubs,

kürzlich war ein Bekannter aus Polen seit mehr als 20 Jahren mal wieder in Deutschland und auf dem Weg in unsere schöne Stadt. Direkt an der A3 dachte er, Köln müsse sich zu einem Naherholungsgebiet gewandelt haben. Ein Kurort. Bad Köln, sozusagen. Dieses unglückliche Missverständnis hat mit einem Euphemismus zu tun, bei dem jeder PR-Berater feuchte Augen bekommen dürfte. Denn auf einem großen Schild am Stadtrand stand: „Umweltzone Köln“.

Zugegeben, ich habe sehr gelacht. Aber es hat mir ebenso deutlich gemacht, wie unsinnig das Wort an sich ist. Gleichzeitig kam zuletzt die Stadt Hannover in die Schlagzeilen, weil sie genau diese Umweltzone abschaffte. Wie „sauber“ ist die Luft bei uns also geworden? Im Januar 2008 führte Köln die Umweltzone ein – damals sorgten erhöhte Feinstaubwerte für Handlungsbedarf. Feinstaub entsteht vor allem aus Abgasen im Straßenverkehr und der Industrie. Tatsächlich haben sich die Feinstaubwerte schon vor Jahren bundesweit deutlich verbessert; sie sind fast überall unter die gesetzlichen Grenzwerte gefallen.

Können wir also die Umweltzone abschaffen? Entscheidungen in der jüngsten Vergangenheit sprechen dagegen: so wurde die Zone 2019 erst erweitert. Es gibt nach dem Feinstaub ein anderes Problem: Stickstoffdioxid, kurz NO2. Diese Werte sind auch in Köln an manchen Messstellen noch zu hoch oder nur leicht unter dem gesetzlichen Grenzwert von 40mg je Kubikmeter Luft.  Köln hat 20 Messstellen, die im gesamten Stadtgebiet verteilt sind – darunter sind zwei kritische Hotspots: die Station ‚Clevischer Ring‘ in Mülheim und die Station ‚Turiner Straße‘ in der Nähe des Hauptbahnhofs. Hier gilt: wenig Wind, aber viele Abgase.

Eine erste Auswertung des Landesumweltamtes LANUV für das Jahr 2023 fällt aber erstaunlich positiv aus. Alle Stationen, auch die beiden Hotspots, halten im Jahresschnitt die Grenzwerte ein, wobei die Werte für Luftverschmutzung in Mülheim höher liegen als in der Innenstadt. Woran das liegt, lässt sich nicht genau nachvollziehen. Zu viele Einflussfaktoren gibt, von der Windrichtung bis zur benachbarten Industrie und dem Wetter im Allgemeinen. Und: 2023 hat es viel geregnet. Die Luft wurde vermutlich überdurchschnittlich sauber gewaschen.

In der Kommunalpolitik im Raum Köln gibt es im Umgang mit der Umweltzone mittlerweile eine Tendenz: es gebe „Anfragen aus unserem Regierungsbezirk, ob nicht einzelne Maßnahmen aus den Luftreinhalteplänen ausgesetzt oder abgeschafft werden sollen“, schreibt mir die Bezirksregierung Köln. Wie sind also die Chancen? „Sie freuen sich zu früh“, höre ich bei einem Telefonat mit dem Landesumweltamt LANUV in Duisburg. Zunächst komme es aus auf den politischen Willen an, eine Umweltzone abzuschaffen. An der Tonlage meine ich zu erkennen: der politische Wille dürfte nicht stark ausgeprägt sein. Denn die Diskussionen bei der EU in Brüssel ließen eine Diskussion über eine Abschaffung der Umweltzonen gar nicht zu.

Die Grenzwerte müssen verschärft werden, meint die EU-Kommission in ihren Plänen für eine neue „EU-Luftqualitätsrichtlinie“. So kann es also sein, dass Köln die Grenzwerte derzeit einhält, aber doch bald wieder überschreitet – obwohl die Werte in der Tendenz stetig sinken. Deshalb warte man erst einmal ab, heißt es in bei der Bezirksregierung und beim LANUV, welche europaweiten Vorgaben noch kommen könnten: „Eine landeseinheitliche Vorgabe aus dem zuständigen Landes-Umweltministerium (MUNV) gibt es noch nicht.“ Und so geht es erst einmal weiter wie gehabt. 

Und dann gibt es da einen Punkt, den ich kaum glauben mag. Obwohl es die Umweltzone Köln seit mehr fast 15 Jahren gibt, fahren immer noch viele Autos ohne die entsprechende grüne Plakette in die Stadt bzw. mit einer Plakette, die das Auto gar nicht haben dürfte. So kaufte mein Nachbar im guten Glauben einen gebrauchten Sprinter mit grüner Plakette, die laut Fahrzeugschein nie hätte aufgeklebt werden dürfen. Vorsicht Falle! Aus all dieses Gründen schmettert die Bezirksregierung Köln meine hoffnungsvolle Anfrage über die Zukunft der Umweltzone ab: „Es wäre unserer Sicht nach eher ein falsches Signal, einzelne Maßnahmen aus den Plänen auszusetzen oder abzuschaffen.“ Somit bleibt es fraglich, wann und ob überhaupt der Luftkurort Bad Köln jemals Realität werden könnte.

Somit verbleibe ich mit aufatmenden Grüßen

Ihr
David Rühl

NEWSLETTER 12.04.2024

„Ihr da oben – wir da unten“ am Kölner Eigelstein – Ein Riss geht durch das Viertel

 

 

Sehr geehrte Mitglieder,
liebe Freundinnen und Freunde des Kölner Presseclubs,

Rührei kann man nicht mehr trennen, ein Omelett nicht in ein Ei zurückverwandeln. Die schlichte Alltagsweisheit kommt mir in den Sinn, wenn ich lese, dass die Stadt anstrebt, fünf Holzkohlegrills in der Weidengasse stillzulegen. Die Nachricht kommt für mich überraschend. Die Wirte kooperierten und bauten freiwillig Reinigungsfilter ein, zu denen ihnen von Umweltamt und Bürgerverein Eigelstein (BV) dringend geraten wurde. Insgesamt muss ein sechsstelliger Euro-Betrag investiert worden sein. Nun aber geht es um die Existenz, weil amtliche Stilllegung droht und auch der BV Klagen ankündigt. Dabei hatte er noch vor gut einem Jahr geschwärmt: „Weidengasse schreibt Geschichte“. Köln sei Vorreiter in ganz Deutschland. In der Kölnischen Rundschau meldete der Verein an, den Vorgang „eng begleiten“ zu wollen. Verflogen sind die Superlative.

Es schmerzt zu sehen, wie das Eigelstein-Viertel zerfällt und der eigentlich zu lösende Streit um Holzkohlegrills zum polarisierenden Symbolthema gerät – ob einem persönlich die Grills nun stinken oder nicht. Manchen stinkt im übertragenen Sinn auch der Bürgerverein, der eigentlich ehrenamtliche Arbeit leistet, die Respekt verdient und der doch immer wieder über das Ziel hinausschießt. Nicht nur, wenn es um Grills geht.

Im Viertel fällt mir auf, wie selbst gestandene Zeitgenossen den Unmut des Vereins nicht wecken wollen und daher nicht zitiert werden möchten. Was sind die nächsten Schritte, sollten die Restaurants schließen müssen? Das fragen viele verunsichert.  Leider gibt es für dieses angespannte Klima keine Filter oder Messgeräte. Die Nadeln würden kräftig ausschlagen. Nicht von ungefähr spricht der Kölner Jochen Ott, Chef der SPD-Fraktion im Düsseldorfer Landtag, von einem „schäbigen Spiel, das auf dem Rücken hart arbeitender Menschen ausgetragen wird.“   

Die Hauptkombattanten sind symbolisch wie in einer Versuchsanordnung arrangiert. In einer Top-Etage eines mehrstöckigen Wohnhauses wohnt die Spitze des Bürgervereins. Auf der dazu gehörenden üppigen Dachterrasse werden die Facebook-Fotos mit dem Kölner Dom im Hintergrund entstanden sein. Auf ihnen macht der Verein Rauchschwaden aus. Sie werden dem Grillrestaurant zugeschrieben, dessen Rückfront am Boden der schönen Aussicht in einem Hinterhof liegt. Der Wirt rackert unermüdlich, wie ich weiß. Er soll nun Ziel einer Zivilklage sein. Der Buchtitel „Ihr da oben – wir da unten“ von Bernt Engelmann und Günter Wallraff kam mir in den Sinn, als ich mir die Lokalität anschaute.

Den Kern des Konflikts nenne ich das Eigelsteinsche Paradoxon. Der Bürgerverein sagt, die Kohlegrills würden giftige Gase verbreiten. Das Umweltamt widerspricht dem. Amtlich thematisiert wird nun Geruch, der aber nichts über Gesundheitsgefahren sagt, die es aber ohnehin offiziell nicht gibt. Wer gewinnt, wenn der Streit vor Gericht geht? Niemand, vom Umweltamt abgesehen, das das stete Klagen des Bürgervereins offenbar nervt und nun an das städtische Rechtsamt übergeben kann. Eingeschritten wird übrigens nur, wo es Beschwerden gibt, wie die Stadt einräumt. Um Gesundheit kann es also nicht gehen. 

„Die Situation in der Weidengasse hat sich komplett verhakt und kennt nur Verlierer,“ meint der CDU-Politiker Florian Weber, Vorsitzender des Ortsverbands Innenstadt-Nord. Der Eigelstein stehe für ein friedliches Miteinander. Eine Weidengasse ohne die türkischen Restaurants sei für ihn nicht vorstellbar. Nun gehe ein tiefer Riss durchs Viertel.

Mannheim sei Modellstadt für Holzkohlegrills, sagten im Januar 2020 unisono Bürgerverein, Bezirksbürgermeister Hupke (Grüne) und ein Verkäufer kommerzieller Filteranlagen, der praktischerweise gleich mit dabei war. Ein Facebook-Eintrag zeigt das. Eine kleine Gesandtschaft war eigens an Rhein und Neckar gefahren. Danach glaubte man Bescheid zu wissen.

Tatsächlich leisteten die Filter in Mannheim gute Arbeit, wie meine Freundin Lale Akgün jetzt im Gespräch mit Yilmaz Akilmak, einem Mannheimer Restaurantchef, hörte. 70 Prozent der Geruchspartikel seien herausgefiltert worden. Doch habe die Anlage keine Zulassung vom Land gehabt – die Regeln wechseln je nach Region. Daher habe sie abgeschaltet werden müssen. Eine zugelassene und empfohlene Anlage mit höherer Reinigungskraft von 95 Prozent wiederum koste € 100.000,– und weitere € 3000,– Unterhalt pro Monat. Das aber gäbe sein Betrieb nicht her, sagte der freundliche Gastronom.

Nun lebt man in Mannheim wieder filterlos, berichtete Lale Akgün weiter aus dem Gespräch. Was bedeutet das für Köln? Eine Stilllegungsverfügung sei angesichts der Existenzgefährdung unverhältnismäßig und damit rechtswidrig, zumal die Stadt hier lediglich mit einer Geruchsbelästigung argumentiert, sagt die Kölner Rechtsanwältin Dr. Stefanie Beyer, die zwei Wirte vertritt. So taugt Mannheim, wenn nicht als Vorbild, so doch zumindest als Mahnung. Es kann immer noch schlechter kommen.

Nun wird es heiter. Die neue Episode aus Susanne Hengesbachs Poetry-Podcast-Reihe „Da reim‘ ich mir was drauf . . .“ hat den selbsterklärenden Titel ERWISCHT! Im Gespräch mit der Freundin wird etwas aufgedeckt, was viele Frauen kennen dürften! Mehr müsse man da im Vorfeld nicht zu sagen, meint die Autorin. Es lohnt sich reinzuhören! Auf mein Bitten hat Susanne mich schließlich lauschen lassen. Unbedingt hier klicken, kann ich nur sagen.

Am Wochenende erwartet uns ein Hauch von Frühling. Genau weiß man das zwar nicht. Aber ich hoffe es.

Erwartungsvolle Grüße sendet

Ihr

Peter Pauls

NEWSLETTER 22.03.2024

Von unzuverlässigen Freunden, deutschem Tiefschlaf und dem großen Europäer Konrad Adenauer

 

 

Sehr geehrte Mitglieder,
liebe Freundinnen und Freunde des Kölner Presseclubs,

es gibt großartige Begabungen, die aber eine tragische Kehrseite haben können. Die griechische Königstochter Kassandra etwa hatte die unglaubliche Fähigkeit, die Zukunft vorherzusehen. Aber ihr Pech war, dass das von ihr zurecht vorhergesagte Unheil niemand glauben mochte – bis es eintrat. Ein bisschen erinnert in diesen Tagen der frühere Außenminister und Vizekanzler Joschka Fischer an Kassandra, wenn er sich zu Russlands aggressivem Großmachtstreben und den Folgen für Europa äußert. Ich habe Joschka Fischer im Rahmen der lit.Cologne getroffen, wo wir gemeinsam mit dem Zeitgeschichtler Prof. Herfried Münkler eine Veranstaltung hatten.

Fischer wäre nicht Fischer, wenn ihn seine düstere Realitätsbeschreibung von einem atomar bedrohten, weitgehend wehrlosen Europa in den Fatalismus triebe. Als Reaktion fordert er die Wiedereinführung der Wehrpflicht („die Abschaffung war ein Fehler“) und die nukleare Aufrüstung der Europäer: „Wir müssen massiv aufrüsten, atomar und konventionell.“ Für die erforderlichen finanziellen Mittel dürfe es keine Schuldenbremse geben, Putin lasse sich „von robuster Verteidigungsfähigkeit abschrecken, aber nicht von einer Schuldenbremse.“ Dass Putins Russland sich mit der Ukraine oder gar nur eines Teils zufrieden geben könnte, hält er für eine naive Vorstellung. „Das ist der erste Revisionskieg, weitere werden folgen“, prophezeit Fischer. Putins Ziel sei „eine neue Ordnung in Europa“ mit einem dominanten Groß-Russland als beherrschender Macht.

Auf die Hilfe der USA und deren atomarem Schutzschirm sei kein Verlass mehr. Mit einer Wiederwahl Trumps gebe es den faktisch nicht mehr und auch auf die Demokraten Joe Bidens sei längerfristig nicht zu bauen. „Die Amerikaner hatten schon unter Obama ihr Interesse an Europa gegen eine Fokussierung auf den pazifischen Raum eingetauscht. Der allmähliche Abschied war nur freundlicher formuliert“, so Fischer. Spätestens mit der Wahl Trumps 2017 hätte Europa zügig eigenständige Verteidigungskapazitäten aufbauen müssen.

Doch statt zu handeln, statt eine nenneswerte europäische Verteidigung aufzubauen, zeige sich Europa uneinig – vor allem die Achse Paris-Berlin sei erodiert, obwohl ohne einen Schulterschluss der beiden größten EU-Staaten nichts ginge – „eine Katastrophe“.

Ein Großteil der Schuld an der Wehrlosigkeit Europas trage Deutschland. „Aus gutem Grund“ habe es nach dem Krieg eine Abneigung gegenüber allem Militärischen gegeben. Das könne sich der fragile „Zipfel an der eurasischen Landmasse“ aber nicht mehr leisten. Die Deutschen seien „sicherheitspolitisch im Tiefschlaf“ und sich der realen Gefahr überhaupt nicht bewußt. Der Ruf nach Diplomatie sei ohne „Hard Power“ sinnlos, wenn man nicht im Bereich der Hard Power auch über ein relevantes Drohpotenzial verfüge. Auch die fatale Neigung, öffentlich und aufgeregt über Sicherheit zu reden („Das gibt es nur bei uns“) sei kein Beitrag zur Transparenz, sondern „gefährliches, unverantwortliches  Geschwätz“. Damit liefere Deutschland sich und die Europäer zusätzlich aus.

Eine große Gefahr sieht Joschka Fischer in dem Versuch Wladimir Putins, Deutschland aus der Westbindung herauszulösen. Die Westbindung, die Konrad Adenauer gegen große Wiederstände erfolgreich durchgesetzt habe, sei ein historisch nicht hoch genug zu schätzendes Verdienst. Das setzten vor allem AfD, Linke und das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) mit einer unterwürfigen Appeasement-Politik gegenüber Russland aufs Spiel. „Das wäre das Ende von Freiheit und Demokratie, das Ende Europas“, ist er überzeugt. Wer das nicht wahrhaben wolle, so Fischers Credo, sei entweder hoffnungslos-naiver Romantiker oder Opportunist, der aus der deutschen Friedenssehnsucht wahltaktisches Kapital schlagen will.

Joschka Fischer, mit dem ich in den letzten Jahren fünf mal gesprochen habe, ist ein bemerkenswert eigenständiger Kopf, der immer schon in kein Parteikorsett passte, inzwischen aber zum Elder Statesman gereift ist. Seine unbequeme Zeitanalyse fällt düster aus, aber sie überzeugt durch Klartext. Viele solcher Stimmen hat das Land nicht. Darum sollte sie gehört und ernst genommen werden.

Und wo bleibt das Positive, hätte Erich Kästner an dieser Stelle gefragt? Na, es ist Frühling, die dunklen Winterwochen haben wir hinter uns. Für viele (mich nicht!) Zeit, ihr Wohnmobil startklar zu machen. Doch auch da trübt bei Paaren der Umstand die Vorfreude, dass man mit einem schnarchenden Partner keine Ausweich-Couch hat. Über dieses Problem hat sich meine Kollegin Susannen Hengesbach Gedanken in ihrem Podcast gemacht (https://poetry-podcast.podigee.io/). Hören Sie doch mal rein. Es lohnt sich!

 

In diesem Sinne grüße ich Sie, herzlich wie stets,

Ihr

Michael Hirz